Rhein-Main-Institut RMI Darmstadt
2. Fach-Symposium zum Ausbau des Frankfurter Flughafens:
"Die Leistungsfähigkeit von Verbundkonzepten"
Sind Verbundkonzepte notwendig?
"Die Pflicht zur Alternativenprüfung"
1. These: Ernsthafte Alternativen, die sich aufdrängen, sind zu berücksichtigen
Der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das aus ihm abgeleitete Gebot der Abwägung berührter Interessen eröffnen im luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungsrecht die Pflicht zur Prüfung von Projektalternativen. Erforderlich ist danach die Prüfung, ob sich das planerische Ziel mit geringerer Eingriffsintensität auf andere Weise erreichen läßt (BVerwG 11.12.1978, Az.: 4 C 13.78). Dies setzt voraus, daß die Behörde sowohl bei der Lösung, die beantragt ist, als auch bei den Alternativen, deren Untersuchung sich ihr aufdrängen, die jeweils in Betracht kommenden öffentlichen und privaten Interessen in ihre Abwägung einstellt, gewichtet und die einzelnen Ergebnisse untereinander vergleicht.
2. These: Zu den ernsthaften Alternativen zählt auch der Verzicht auf den Frankfurter Flughafenausbau
Am Beispiel der Straßenplanung hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden, daß solche von einer Neu- oder Ausbauplanung unüberwindliche Belange auch die Prüfung einer Null-Variante nahelegen können. Selbst ein vom Gesetzgebers bejahter Verkehrsbedarf "enthebt die Planungsbehörden auf den nachfolgenden Planungsstufen nicht (von) der Prüfung, ob in der Abwägung unüberwindliche Belange dazu nötigen, von der Planung Abstand zu nehmen ("Null-Variante")." (BVerwG, 10.04.1997, Az: 4 C 5/96)
Zu den unüberwindlichen Belangen zählen auch jene Folgen, "die sich in einer großräumigen Perspektive über den planfestgestellten Abschnitt (der Straße) hinaus für die Gesamtplanung ergeben würden." (BVerwG, 26.03.1998, Az: 4 A 7/97 <A 241>) Das sind bei einem Flughafenausbau seine Wirkungen auf die Lebensqualität, die Gesundheit und die Grenzen einer damit verträglichen Wirtschaftsentwickliung in der Rhein-Main Region. Zu berücksichtigen ist dabei auch, daß dem jetzt beantragten Flughafenausbau nach den Aussagen der FAG vor dem Landtag und nach der Logik der im Süden geplanten neuen Empfangsanlagen in zwei Jahrzehnten ein weiterer Ausbau folgen soll, etwa durch zwei Südbahnen entsprechend dem Atlanta-Modell.
Bei der Beurteilung einer "Null-Variante" sind in der Abwägung folgende Möglichkeiten zu prüfen:
3. These: Auch die Aufgabenteilung zwischen mehreren verkehrlich verknüpften Flughäfen (Verbundkonzept) ist eine zu prüfende Planungsalternative zum Ausbau des Flughafens Frankfurt
Ein Verbundkonzept ist eine Alternative, wenn es von Verkehrssachverständigen als ernsthafte Planungsvariante zu einem Ausbau angesehen wird.
Das Gewicht dieser Alternative wird durch die gesetzliche Vorgabe gesteigert, daß eine luftverkehrsrechtliche Ausbauplanung zwingend zu versagen ist, wenn das "Gelände ungeeignet" ist, die "öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet" wird, eine Beeinträchtigung "öffentliche Interessen" in "unangemessener Weise" droht und diese Belange durch eine Abwägung nicht zu überwinden sind (§ 6 LuftVG). Damit sind der Gesundheitsschutz für die Anwohner, aber auch die Anforderungen des Immissionsschutzrechts, des Naturschutzrechts, der Forstrechts, des Wasserrechts und des Städtebaurechts sowie die im Regionalplan niedergelegten Ziele und Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung rechtliche Schranken für die Ausbauplanung des Frankfurter Flughafens. Je gewichtiger diese Belange sind, desto näher liegt es, einer Planungsalternative wie dem Verbundkonzept näher zu treten. Der geplante Ausbau des Frankfurter Flughafens würde durch den Fluglärm langfristig viele Wohnanlieger in ihrem Grundrecht auf Gesundheit (Art. 2 GG) verletzten; er erfordert auch die Rodung von vielen Hektar Bannwald. Beides sind strikte Ausschlußkriterien für die Genehmigung des Ausbaues und legen es zwingend nahe, Planungsalternativen zu untersuchen.
Zwischenergebnis: Das Verbundkonzept ist im Raumordnungsverfahren zwingend als Variante zu prüfen.
4. These: Das Verbundkonzept ist mit einem Flughafenausbau hinsichtlich aller berührten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit zu vergleichen
Die aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgende Pflicht zur Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ist nach ständiger Rechtsprechung (BVerwG, 05.07.1974, Az.: 4 C 50.72) gerichtlich darauf überprüfbar, ob
Kommen Alternativlösungen ernsthaft in Betracht, so hat "die Planungsbehörde sie als Teil des Abwägungsmaterials mit der ihnen objektiv zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der von den möglichen Varianten jeweils berührten öffentlichen und privaten Belange unter Einschluß des Gesichtspunkts der Umweltverträglichkeit einzubeziehen." (BVerwG, 26.02.1999, Az: 4 A 47/96, UPR 1999, 271 ständige Rechtsprechung)
Zwischenergebnis: Erforderlich ist ein Vergleich der Ausbauvarianten mit der Verbundvariante hinsichtlich aller rechtlicher erheblicher Standortkriterien, zuvorderst ein Vergleich des Maßes der Beeinträchtigung
5. These: Nichtberücksichtigung des Verbundkonzeptes im Raumordnungsverfahren ist Planungsfehler
In der Rechtsprechung ist geklärt, daß die Planfeststellungsbehörde nicht alle denkbaren Alternativen zu beurteilen hat. Ein rechtserheblicher Abwägungsfehler unterläuft ihr aber dann, wenn sie übersehen hat, daß sich eine bestimmte Lösung anbietet und sich ihr jedenfalls die Erörterung dieser Alternative "aufdrängen" mußte. (BVerwG, Urteil vom 05.10.1990 Az. 4 B 249/89 ständige Rechtsprechung)
Die Planfeststellungsbehörde "ist indes nicht verpflichtet, die Variantenentscheidung bis zuletzt offenzuhalten und alle von ihr zu einem bestimmten Zeitpunkt erwogenen Alternativen gleichermaßen detailliert und umfassend zu untersuchen. Auch im Bereich der Planungsalternativen braucht sie den Sachverhalt nur soweit aufzuklären, wie dies für eine sachgerechte Trassenwahl und eine zweckmäßige Gestaltung des Verfahrens erforderlich ist. Sie ist befugt, eine Alternative, die ihr auf der Grundlage einer Grobanalyse als weniger geeignet erscheint, schon in einem frühen Verfahrensstadium auszuscheiden."
Verfährt sie in dieser Weise, so handelt sie aber abwägungsfehlerhaft, wenn sich herausstellt, daß die von ihr verworfene Lösung "als die vorzugswürdige hätte aufdrängen müssen." (BVerwG, 26.02.1999, Az: 4 A 47/96)
Die Planfeststellungsbehörde ist daher nur befugt, eine "Planungsalternative, die ihr auf der Grundlage einer Grobanalyse (zunächst) als weniger geeignet erscheint, schon in einem frühen Verfahrensstadium auszuscheiden" (BVerwG 25.01.1996, Az.: 4 C 5.95). Die damit erhebliche Eignung des Verbundkonzeptes wird aber von Verkehrssachverständigen gerade bejaht, weshalb dies Konzept nicht ungeprüft bleiben darf.
Spätestens im luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungsverfahren werden die in ihrer Gesundheit betroffenen Anwohner voraussichtlich die Prüfung des Verbundkonzeptes mit sachverständigen Argumenten beantragen. Spätestens dann wird dieses Konzept mit gleicher Gründlichkeit wie die drei derzeit im Raumordnungsverfahren zu prüfenden Ausbauvarianten zu untersuchen sein und es stellt sich die Frage, ob dann nicht das Raumordnungsverfahren zu wiederholen sein wird. Zum Prüfungsumfang hat das BVerwG entschieden: "Kommt eine zunächst ausgeschiedene Planungsalternative aufgrund neuer Entwicklungen nach dem aktuellen Planungsstand in einem späteren Verfahrensstadium erneut und ernsthaft in Betracht, so hat die Planungsbehörde sie jedoch als Teil des Abwägungsmaterials mit der ihr objektiv zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der von den möglichen Alternativen jeweils berührten öffentlichen und privaten Belange einzubeziehen. Das kann im Einzelfall die Verpflichtung zur Nachermittlung abwägungserheblicher Tatsachen auslösen. Ein gestuftes Vorgehen in der Sachverhaltsermittlung, insbesondere bei der Erarbeitung von Planungsalternativen, kann an sich nur vorläufig sein und steht unter dem Vorbehalt im wesentlichen gleichbleibender Verhältnisse" (BVerwG 18.06.1997, Az.: 4 C 3/95; 26.06.1992, Az.: 4 B 1-11.92).
Zwischenergebnis: Die beabsichtigte Nichtberücksichtigung des Verbundkonzeptes im Raumordnungsverfahren ist kann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führen.
6. These: Umweltverträglichkeitsprüfung und Natureingriffprüfung erweitern Prüfungspflichten nicht
Weder die Vorschriften zur Umweltverträglichkeitsprüfung (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG, Art. 5 Abs. 1 i.V.m. III Nr. 2 der UVP-Richtlinie, § 6 Abs. 4 Nr. 3 UVPG) noch das Vermeidungsgebot der naturschutzrechtlichen Eingriffsprüfung verlangen einen gegenüber dem Abwägungsgebot umfassenderen Alternativenvergleich.
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden (10.06.1998 Az. 7 B 25/98; 14.05.1996 Az. 7 NB 3.95; Az. 4 C 5.95), "daß sich weder aus dem UVPG noch aus der UVP-Richtlinie eine Verpflichtung zur Alternativenprüfung im Rahmen von planerischen Zulassungsentscheidungen ergibt." Ob eine solche Prüfung geboten ist, bestimmt sich nach dieser Rechtsprechung allein nach den Anforderungen des die Berücksichtigung auch aller betroffenen Umweltbelange gebietenden Abwägungsgebots.
Das gleiche gilt für die Prüfung der Vermeidbarkeit eines Natureingriffs. Eingriffe in Natur und Landschaft sind unzulässig, wenn vermeidbare erhebliche Beeinträchtigungen nicht unterlassen werden. Das Vermeidungsgebot ist zwar striktes, einer Abwägung nicht zugängliches Recht (BVerwG, 30.10.1992, Az. 4 A 4.92), es zwingt die Planungsbehörde aber nicht dazu, unter mehreren möglichen Alternativen die ökologisch günstigste zu wählen. Es zielt lediglich darauf ab, aus dem Kreis der mit dem Eingriff definitionsgemäß verbundenen erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft "diejenigen zu unterlassen, die vermeidbar sind" (VGH Mannheim, 22.07.1997, Az: 5 S 3391/94). Die Entscheidung, daß ein Planungsvorhaben an einem bestimmten Standort zulässig ist, "steht - auch unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung von Umweltbelangen - auf der Prüfstelle des § 8 Abs. 2 BNatSchG nicht mehr zur Disposition. Die Standortfrage wird unter dem Aspekt der Alternativenprüfung im Rahmen der fachplanerischen Abwägung entschieden. Nur das danach zugelassene und kein anderes Vorhaben ist im Rahmen des § 8 Abs. 2 S. 1 BNatSchG daraufhin zu untersuchen, ob es Beeinträchtigungen verursacht, die vermeidbar sind" (BVerwG, 07.03.1995, Az.: 4 C 10.96). Die Vermeidbarkeit bezieht sich daher "immer (nur) auf die Frage, ob bei Verwirklichung des Vorhabens an der vorgesehenen Stelle erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft vermieden oder zumindest vermindert werden können" (BVerwG 03.09.1993, Az.: 5 S 874/92).
Ergebnis: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, nicht aber die UVP oder die naturschutzrechtliche Vermeidbarkeitsprüfung begründen die Pflicht zur Prüfung von Planungsalternativen wie dem "Verbundkonzept". Wird die Verbundlösung nicht angemessen geprüft, werden Klagen wegen dieses Fehlers Erfolg haben.
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