Prof. Dr. Richard Vahrenkamp
Fachgebiet Produktionswirtschaft und Logistik
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Universität GH Kassel, Telefon: 0561/804-3058
Web: www.wirtschaft.uni-kassel.de/Vahrenkamp

 

 

Strategien der Verkehrsverlagerung für den Flughafen Frankfurt

Vortrag auf dem 2. Fach-Symposium zum Ausbau des Frankfurter Flughafens zum Thema :
Die Leistungsfähigkeit von Verbundkonzepten
Rhein-Main-Institut Dreieich, 17. Oktober 2000
Überarbeitete Fassung vom 27.10.2000

 

 

Dem starken und lang anhaltenden Wachstum des Luftverkehrs steht in Deutschland keine adäquate Planung und Steuerung von Flughafenkapazitäten gegenüber. Bau, Ausbau und Betrieb von Flughäfen erfolgen auf der Ebene der 16 Bundesländer, die im Auftrag des Bundes tätig werden. Die Folge ist eine gerade im Luftverkehr besonders absurde Kirchtumspolitik ohne eine übergeordnete Koordination. Zum ersten Mal überhaupt hat im August 2000 die Bundesregierung ein Flughafen-Konzept vorgelegt, das sowohl Maßnahmen zum Schutz von Anwohnern und Umwelt enthält wie auch Maßnahmen zur Erweiterung der deutschen Flughafenkapazität vorlegt. Das Konzept ist ein erster Schritt, der den von den Ländern gemeldeten Bedarf aber lediglich auflistet, ohne ihn zu koordinieren, wofür dem Bund - im Unterschied zur Planung bei der Bahn, der Autobahn und den Wasserstrassen - noch die Zuständigkeit fehlt. [1]

An dieser Stelle soll der Frage nachgegangen werden, welche Argumente, die gegen einen Ausbau des Flughafens Frankfurt sprechen, im Mediationsprozeß zum Ausbau des Flughafens Frankfurt nicht berücksichtigt bzw. unzureichend diskutiert wurden. Da die Gutachten und sonstigen Dokumente des Mediationsprozesses nun von der Staatskanzlei der hessischen Landesregierung dankenswerter Weise in Form einer CD der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, kann hierzu unmittelbar Stellung bezogen werden. Der Mediationsprozess hat eine Reihe von Gutachten erstellen lassen, von denen ich auf die Gutachten

sowie auf den als Mediationsbericht bezeichneten Endbericht eingehen möchte.

Gefragt werden soll im folgenden nach Möglichkeiten, den Flugverkehr so umzuorganisieren, um den Kapazitätszuwachs im Luftverkehr anderweitig als am Flughafen Frankfurt zu realisieren. Ein Vergleich mit anderen Lösungen in Europa soll die Machbarkeit von Alternativen aufzeigen.

Der Flughafen Frankfurt ( im folgenden FRA) der Frankfurter Flughafen AG (FAG) und die Lufthansa (im folgenden LH) sind gemeinsam zu diskutieren, da beide gemeinsame Interessen an einer Erweiterung der Kapazitäten zeigen. Die FAG und die LH sind zunächst zwei voneinander unabhängige Gesellschaften, wobei der Frankfurter Flughafen nur die Infrastruktur für den Flugbetrieb zur Verfügung stellt, während die LH mit ihren Partnern die dortigen Flugbewegungen zu 70% im Linienverkehr verantwortet. Ferner hat sich die Lufthansa mit Leasing-Verträgen für Gebäude mit Vertragslaufzeiten zwischen 26 und 30 Jahren ohne Auflösungsklausel an Frankfurt gebunden (Geschäftsbericht der LH 1999, S. 104). Die Mietverträge besitzen ähnlich hohe Laufzeiten. Diese Bindung bedeutet, dass die LH ihre Basis in FRA auch im Falle der Nichterweiterung von FRA auf absehbare Zeit behalten muss und damit die durch die LH induzierte Beschäftigung von Personal in FRA langfristig stabil bleibt.

In der Diskussion um die Erweiterung des Frankfurter Flughafens und in der Geschäftspolitik treten Flughafen und LH häufig gemeinsam auf. So heißt es im Geschäftsbericht des Flughafens von 1999 (S. 34): "Aber auch im Inland setzte sich der positive Trend fort. Der Lufthansa gelang es auch im deutschen Markt, Umsteiger von konkurrierenden Airlines zurückzugewinnen und über den Flughafen Frankfurt zu führen."

Hier der erste Kritikpunkt: Die Erweiterung von FRA ergibt sich zwingend, wenn die LH immer mehr Verkehr dort konzentriert, anstatt diesen über anderweitige Flughäfen zu leiten. Erkennbar wird zugleich die Entstehung von Engpässen auf Flughäfen infolge von Organisationskonzepten. Wenn die LH ihre Flüge anders organisierte, würde der erforderliche Kapazitätszuwachs an anderen Flughäfen entstehen. Anders als im Autobahnnetz, wo ein Engpass durch Erweiterungs-Investitionen zu beheben ist, sind im Luftnetz die Flugwege nicht physikalisch vorgegeben, sondern werden erst im Flug konstituiert. Damit kann aber ein Engpass umflogen werden.

Obwohl man auch betriebswirtschaftlich fragen kann, ob im FRA nicht bereits die optimale Betriebsgröße überschritten ist, seien hier die rein betriebswirtschaftlichen Vorteile sowohl für den Flughafen als auch für die LH, die im Konzept der Erweiterung von FRA angelegt sind, unbestritten. Der Flughafen kann in seiner Größe und im Umsatz wachsen. Die LH hat niedrigere Kosten, wenn sie nicht mehrere Standorte parallel betreiben muss und Frachtflüge und Passagierflüge einfacher kombinieren kann. Die Vorteile für das Rhein-Main-Gebiet und für die Gesamtwirtschaft sind jedoch weniger evident.

Der wesentliche Schwachpunkt im Ausbaukonzept vom Flughafen Frankfurt ist dessen Lage mitten im von stark wachsender Besiedlung geprägten Ballungsraum Rhein-Main mit einer Entfernung von bloß 10 km von der City Frankfurt. Vergleicht man andere Metropolen in Europa, so wurden dort die historisch gewachsenen, stadtnahen Flughäfen nicht zu großen Umsteigeknoten erweitert, sondern die Hubs auf neuen Flughäfen stadtfern angesiedelt. Die folgende Tabelle zeigt die Distanzen zur Innenstadt der Hub-Flughäfen von Mailand, Paris und London und deren Flugbewegungen in 1000 im Jahre 1999:

 

Stadtflughafen

Hubflughafen

Flugbewegungen im Hub

Mailand

Linate

Malpensa 45 km

222

Paris

Orly

Charles de Gaulle 25 km

475

London

London City

Heathrow 24 km

Gatwick 46 km

458

256

Tabelle: Stadt- und Hubflughäfen [2]

Interessant ist, dass in den 70er Jahren, also der Zeit, in der in Frankfurt die Startbahn West als Erweiterung des Stadtflughafens FRA diskutiert wurde, der Stadtflughafen Orly nicht erweitert wurde, sondern statt dessen Charles de Gaulle gebaut wurde. Im Großraum Paris wird jetzt sogar der Flughafen Paris 3 als Erweiterung für Charles de Gaulle im Radius von 80 km um die City von Paris geplant.

Ferner besitzt der Großraum Paris den auf Luftfracht spezialisierten Flughafen Vatry 150 km westlich von Orly gelegen. Damit die Forderung der LH relativiert, eine Abfertigung von Frachtflügen sei nur in einer räumlichen Kombination mit Passagierflügen möglich.

Bei diesem Vergleich mit den Nachbarn in Europa fällt auf, dass die Flughäfen Charles de Gaulle und Heathrow eine vergleichbare Zahl an Flugbewegungen wie FRA aufweisen und ähnlich wie FRA ihre Kapazitäten erschöpft haben. Diese Flughäfen werden aber nicht erweitert. Vielmehr werden bzw. wurden an anderer Stelle neue Flughäfen angelegt bzw. erweitert: Gatwick ist der Alternativflughafen zu Heathrow, Paris 3 der Alternativflughafen zu Charles de Gaulle. Natürlich tritt hier sofort die Frage auf, wieso in FRA nicht möglich sein soll, was bei unseren europäischen Nachbarn realisiert worden ist.

Aus diesem Vergleich ergibt sich, dass die LH ihre Unternehmensstrategie zu ändern und, wie andere nationale Airlines es tun, ihren Hub in FRA zu splitten hätte. Damit wird der Druck der Verkehrszunahme von FRA genommen. Wenn man den Flugplan von British Airways analysiert, so wird deutlich, dass die BA ihren Hub in Heathrow mit Gatwick im Verhältnis 60% zu 40% teilt. Auf beiden Flughäfen werden die europäischen Sammel- und Verteilverkehre für die in Heathrow und Gatwick abgewickelten Interkontverkehre komplett parallel betrieben. Beide Flughäfen bedienen nahezu die gleichen Interkontziele und sind mit einer Eisenbahn vernetzt, die eine Reisezeit von 60 Minuten erfordert. Die Air France betreibt neben dem Hub für Interkontflüge in Charles de Gaulle einen zweiten Hub für Europaverkehre in Lyon. Der Stadtflughafen Paris-Orly wird von Air France für innerfranzösische Flüge und Verbindungen in die Karibik genutzt. Mitbewerber der Air France nutzen Orly für durchschnittlich 20 Interkontflüge pro Tag, sodaß sich in Orly die beachtliche Zahl von 245 Tsd. Flugbewegungen pro Jahr ergibt. Zwar hat die LH einen zweiten, kleinen Hub in München aufgebaut. Dieser spielt aber zur Entlastung von FRA bisher nur eine geringe Rolle, da er erst 3 Ziele im Interkontverkehr anfliegt - eine Zahl die jetzt auf 7 erhöht werden soll, während in FRA von der LH über 50 Interkontziele angeflogen werden.

Strategien der Verkehrsverlagerung von FRA sollen diskutiert werden an folgenden

frankfurtnahen Standorten, wie

und an frankfurtfernen Standorten, wie

Bei diesen Überlegungen bleiben die sich im Großraum Berlin abzeichnenden Erweiterungen der Flughafenkapazität mit den Projekten Berlin/Brandenburg und Stendal unberücksichtigt.

Ein Erweiterungsflughafen Frankfurt 2 zwischen Mainz und Worms wurde vom Mediationsverfahren zwar von vorn herein verworfen, erscheint jedoch im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn die naheliegendste Lösung zu sein, die ja auch bereits seit 30 Jahren diskutiert wird. Die von den Verfechtern des Ausbaus von FRA ins Feld geführten Argumente der Beschäftigungs-, Wohlstands- und Erreichbarkeitseffekte für Rhein-Main blieben bei dieser Lösung erhalten. Von FRA könnte der Interkontverkehr ganz nach
Frankfurt 2 verlagert werden. Der "alte" FRA könnte die Europaverkehre zum Teil aufnehmen und dann, wie Orly, zu einem gemütlichen Stadtflughafen mit 100 bis 200 Tsd. Flugbewegungen pro Jahr werden. Eine Finanzierung des Baus von Frankfurt 2 könnte aus den Erlösen des Börsengangs der FAG gewonnen werden. Eine Projektentwicklungsgesellschaft ist zu gründen, um die Interessen beider Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz abzustimmen. Dies ist auch insofern nötig, um die im Ballungsraum Rhein-Main liegenden Flughäfen FRA und Frankfurt 2 in die Politik beider Länder einzubinden. Bisher gilt FRA als ein hessisches Projekt, was meiner Meinung nach zu kurz greift.

Die Verwirklichungschancen für den Erweiterungsflughafen Frankfurt 2 sind gering, da eine Flughafenneubau von der Politik als schwerer durchsetzbar angesehen wird als eine Erweiterung. Auch ist zu fragen, ob die Investitionen in FRA nicht bereits so groß sind, als dass eine Verlagerung noch möglich wäre. Hier erweist sich die Entscheidung zum Bau der Startbahn West 1980 als eine folgenschwere Fehlentscheidung, da sie den bereits damals erforderlichen Neubau eines stadtfernen Flughafens verhindert hat (vergleiche den Neubau von Charles de Gaulle in den 70er Jahren). Andererseits erhöht eine Verschiebung des Neubaus die Belastung des Rhein-Main-Gebietes immer mehr, da nach dem Bau der 4. Startbahn bereits von der LH Bedarf an einem weiteren Ausbau angemeldet worden ist.

Hahn besitzt den Vorteil, dass er bereits als Flughafen besteht und dass er von der FAG als Hauptanteilseigner bereits gesteuert wird. Er liegt jedoch immerhin 110 km von Frankfurt entfernt. Nach Hahn könnte der Umsteigeverkehr gelenkt werden und damit der Hub in FRA geteilt werden. Der Umsteigeverkehr wird von Personen erzeugt, die nicht das Ziel FRA besitzen, sondern nur den Frankfurter Hub zum Umsteigen nutzen. Für diese Personengruppe ist es unerheblich, wo sie umsteigen. Bei einer Umsteigerquote von 48% in FRA müßte in einer groben Annäherung demnach jeder zweite Interkontflug über Hahn abgewickelt werden und die andere Hälfte, welche Passagiere transportiert, die direkt nach Frankfurt wollen, verbliebe in FRA. So z.B. die folgende Aufteilung der täglichen Flüge von Hongkong nach FRA: Montags, mittwochs und freitags Flüge nach Frankfurt, den Rest der Woche Flüge für Umsteiger nach Hahn. Aufzubauen wäre ein zu FRA paralleler Hub, der die Feinverteilung in Europa vornimmt. Für eine Verlagerung der Umsteigeverkehre mit einem Hub-Splitting müßte Hahn konzeptionell und für das Marketing des Rhein-Main-Gebietes als Frankfurt 2 eingeordnet werden, wie es bereits in den Reservierungssystemen geschieht, wo Hahn als Frankfurt-Hahn auftritt. Damit könnte die hohe Bekanntheit und das gute, weltweit vorhandene Image von FRA auf Hahn übertragen werden, analog zu London-Stansted oder London-Gatwick. Den Reisenden würde dann das Gefühl vermittelt, in "Frankfurt" umzusteigen. Das im Mediationsprozeß erstellte Gutachten "Szenarien zur Entlastung des Flughafens Frankfurt" (V3-G) vom Airport-Research-Center hielt auch eine Verlagerung des Frachtverkehrs nach Hahn für sinnvoll. Obwohl sich damit nur ein geringer Entlastungseffekt für FRA darstellt, wären damit aber die Flugbewegungen in der Nacht von FRA genommen. Erforderlich wäre in Hahn ein Ausbau der Vorfeldflächen, des Hauptrollweges und eine Verlängerung der Startbahn auf 4 km Länge, um Jumbos mit maximalem Startgewicht starten lassen zu können. Um Hahn von Frankfurt aus erreichen zu können, ist neben dem Autobahnbau auch an eine Schnellbahnverbindung zu denken, wie etwa eine Verbindung mit dem Transrapid. Ob Hahn wegen der komplizierten Topografie langfristig auf mehrere Startbahnen erweitert werden kann, ist zu überprüfen, da ansonsten ein Aufbau eines Hubs in Hahn nicht sinnvoll wäre.

Für eine Verkehrsverlagerung nach Köln/Bonn sprächen moderne Konzepte der Unternehmensführung, wie der Orientierung am Markt und am Kunden. Hier weist hier die Strategie der LH eine Lücke auf. In Nordrhein-Westphalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, leben in dem von hoher Wirtschaftskraft geprägten Ballungsraum Rhein-Ruhr ca. 10 Mio. Menschen, also doppelt so viele wie in Rhein-Main. Wenn diese einen LH-Interkont-Flug nutzen wollen, müssen sie nach FRA auf dem Boden anreisen oder in FRA von den Flughäfen Düsseldorf oder Köln/Bonn kommend umsteigen. Die Kunden sind also gezwungen, zur alten LH-Basis Frankfurt zu kommen, anstatt dass die LH zu ihren Kunden kommt. Dass die LH keinen Hub in NRW besitzt, ist überhaupt merkwürdig, da normalerweise - wie die Literatur zum Hub-Layout ausweist - Hubs in Gebieten mit hoher Bevölkerungskonzentration angelegt werden. Die LH - eine Firma mit Hauptsitz in Köln und damit Steuerzahler in NRW - muss sich also fragen lassen, wieso sie nicht den Flughafen Köln/Bonn als einen zweiten Hub nutzt oder von der Landesregierung Nordrhein-Westphalen fordert, bei Düsseldorf einen leistungsfähigen Flughafen zu errichten, der von der LH als Hub für Interkontverbindungen genutzt werden kann. Dann könnte die LH ihren Hub Frankfurt splitten im Verhältnis 60% FRA zu 40% NRW, so wie es die British Airways mit ihren Hubs in Heathrow und Gatwick tut. Das im Mediationsprozeß erstellte Gutachten "Szenarien zur Entlastung des Flughafens Frankfurt" (V3-G) kommt u.a. zu dem Schluss, dass eine wesentliche Entlastung von FRA durch eine Ausweitung des Angebots an Europaverbindungen des Flughafens Köln/Bonn nicht erreicht werden kann. Allerdings ist diese Angebotserweiterung des Flughafens Köln/Bonn so moderat angenommen worden, dass sich der gewünschte Effekt nicht einstellen kann, wie die Gutachter selber einräumen (S.40f). Der Ansatz des Hub-Splittings wurde im Gutachten gar nicht untersucht.

Eine Verlagerung auf einen neu zu bauenden Flugplatz in Nordhessen bringt folgende Kombinationsmöglichkeiten zusammen, wie ich es einmal in der Deutschen Verkehrszeitung (Nr. 94 vom 8.8.2000, S. 3) vorgeschlagen hatte. Am Flugplatz Kassel-Calden möchte die hessische Landesregierung den Neubau einer Startbahn mit 2,5km Länge unterstützen, damit dort Charterflüge abgewickelt werden können. Wenn man den Flughafen in ein dünn besiedeltes Gebiet des Schwalm-Eder-Kreises verlegte, könnte man den Charterflug tagsüber mit Nachtflügen für einen europaweiten Paketstern kombinieren. Dies ist insofern naheliegend, als sich derzeit ein europaweiter Markt für Expresspakete entwickelt und in Nordhessen auf der Achse Kassel-Fulda aufgrund der Mitte-Deutschland-Lage viele Paketdienstleister angesiedelt sind. Als dritte Säule des nordhessischen Flughafenkonzepts könnte der Umsteigeverkehr von FRA nach Nordhessen gelenkt werden und damit der Hub in FRA geteilt werden. Für die Umsteigerverkehre ist es unerheblich, wo die Personen umsteigen. Bei einer Umsteigerquote von 48% in FRA müßte in einer groben Annäherung demnach jeder zweite Interkontflug über Nordhessen abgewickelt werden. Aufzubauen wäre ein zu FRA paralleler Hub, der die Feinverteilung in Europa vornimmt.

Im folgenden gehen ich auf die Entwicklungs-Szenarien für FRA und auf die Gutachten des Mediationsverfahrens ein.

Der Ansatz des Mediationsprozesses bestand in der Diskussion von fünf Entwicklungs-Szenarien für FRA im Gutachterverfahren:

  1. Ausbau nach dem Bedarf an Kapazität, Szenario A
  2. Kein Ausbau mit Status quo (Stand 1998)
  3. auf 416 Flugbewegungen, Szenario B

  4. Verlust der Hub-Funktion, Szenario C
  5. Einschränkung von Frachtflügen, Szenario D
  6. Reduktion auf 300 Tsd. Flugbewegungen, Szenario E

Interessant sind die Gutachten in ihrem methodischen Ansatz, auch darin, was sie nicht behandeln. Schließlich ist auffallend, dass zwei wichtige Themen gar nicht gutachterlich behandelt wurden: Der Bau von Frankfurt 2 und die gesamtwirtschaftliche Bewertung einer Erweiterung von FRA. Welche Themen lassen die Gutachten aus? Die folgende Tabelle fast die Lücken zusammen:

Gutachten

Lücken

Einkommens- und Beschäftigungseffekte des Flughafens Frankfurt/Main, Status-Quo-Analysen und Prognosen (W2-G)

Keine Projektion bis zum Jahre 2015

Bedeutung des Flughafens Frankfurt/Main als Standortfaktor für die regionale Wirtschaft W4-G

Szenario B des Status quo wird nicht behandelt.

Szenarien zur Entlastung des Flughafens Frankfurt V3-G

Die Hub-Teilung FRA und Köln wird nicht behandelt

Die Folgerungen aus den analysierten Flughafensystemen in Europa werden nicht auf FRA übertragen

Tabelle: Lücken in Mediationsgutachten

Auf diese Lücken soll im folgenden eingegangen werden oder ist bereits oben eingegangen worden.

 

Die Begründung von Großprojekten in der Verkehrswirtschaft beruht normalerweise auf einer Verbesserung des Verkehrsnetzes in den folgenden Dimensionen:

In der gesamtwirtschaftlichen Bewertung von Verkehrsprojekten nach dem Bundesverkehrswegeplan [3] werden diese Verbesserungen in Verkehrsnetzen systematisch erfaßt, wobei die sich ergebenden Beschäftigungseffekte jedoch nur als Zusatznutzen von Verkehrsprojekten gewertet werden, und zwar bloß als ein "Beitrag zur Überwindung konjunkturneutraler Unterbeschäftigung aus dem Betrieb von Verkehrswegen (NR2)". Der Mediationsbericht folgt jedoch nicht dieser Methodik. Vielmehr betont der Mediationsbericht einseitig die Beschäftigungseffekte der Erweiterung von FRA gegenüber den Verbesserungen im Verkehrsnetz. So werden im Mediationsbericht die in FRA auftretenden Verspätungen als ein weiteres Argument für einen Ausbau angeführt, zugleich aber die Verspätungen nur zu 35% dem Kapazitätsengpass in FRA zugerechnet (S. 27), sodaß das Kapazitätsengpassargument zu schwach gewichtet werden kann. Ferner wird im Mediationsbericht für einen Ausbau argumentiert, indem diffus auf eine drohende Abwanderung wichtiger Verkehre und Kunden hingewiesen wird (S. 23) - ein Argument, was sich aber letztlich auch auf den Beschäftigungseffekt reduziert. Damit nimmt der Mediationsbericht eine Sonderstellung ein und dreht die Gewichte für die Begründung eines Verkehrsprojektes um: Im Normalfall stehen die Verbesserungen in Verkehrsnetzen im Vordergrund und die Beschäftigungseffekte sind nur ein Hilfsargument, da der Verkehr eine Austauschfunktion zwischen Regionen darstellt, aber nicht an sich zu fördern ist. Dass ein Verkehrsprojekt nahezu ausschließlich mit Beschäftigungseffekten legitimiert wird, ist in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmalig.

Hier soll der Ausbau von FRA unter dem Aspekt der Erreichbarkeit von weltweiten Zielen von FRA aus diskutiert werden. Interessant ist, dass die Unternehmen im Rhein-Main-Gebiet die Erreichbarkeit offenbar als gut oder sehr gut einschätzen und aus diesem Grund gar kein Bedarf an Erweiterung besteht. Die Ergebnisse des Mediations-Gutachtens "Bedeutung des Flughafens Frankfurt/Main als Standortfaktor für die regionale Wirtschaft" (W4-G) beruhen auf einer Umfrage unter Unternehmen im Rhein-Main-Gebiet über ihre Vorstellungen zum Jahre 2015. Die Unternehmen bewerten derzeit die Erreichbarkeit von Städten in Europa und weltweit von Frankfurt aus offenbar als gut oder sehr gut. Jedenfalls wird im Gutachten keine andere Stimme zitiert. Versäumt wurde jedoch im Gutachten danach zu fragen, wieviele Tage oder Stunden vor Reiseantritt die Maschinen ausgebucht sind (Gutachten W4-G, S. 116). Lange Vorlaufzeiten im Reservierungssystem gäben einen Hinweis auf eine schlechte Erreichbarkeit von Reisezielen für Geschäftsleute und damit einen Bedarf des Rhein-Main-Gebietes an Erweiterung. Dies ist offenbar nicht der Fall. Damit gibt es aus der Sicht der Unternehmen derzeit keinen Bedarf an Erweiterung. Bis zum Jahre 2015 wird aber von den Unternehmen ein Anstieg der Geschäftsreisen von eigenen Mitarbeitern um 132% und von Besuchern um 44% erwartet (Gutachten W4-G, S. 76). Leider wurden diese Zahlen nicht in Flugbewegungen umgerechnet, um daraus eine Kapazitätsbelastung von FRA herzuleiten. Man kann am Zustandekommen dieser Zahlen sicherlich eine Detail-Kritik an methodischen Schwächen einbringen, was hier jedoch unterbleiben soll. [4]

Bei der Durchsicht der verschiedenen im Mediationsprozeß erarbeiteten Gutachten fällt auf, das ein ganz entschiedene Analyse fehlt: Eine gesamtwirtschaftliche Bewertung der Erweiterung von FRA. Diese gesamtwirtschaftliche Bewertung ist bei allen Verkehrsprojekten ein normaler Bestandteil des Entscheidungs- und Genehmigungsprozesses, so auch bei diversen Flughafenprojekten in Berlin und den neuen Bundesländern. Eine gesamtwirtschaftliche Bewertung ist auch nach den Haushaltsordnungen von Bund und Ländern bei Projekten vorgeschrieben, die Ausgaben in einem erheblichen Umfang erfordern. Um zu verhindern, dass öffentliche Mittel in unrentable Projekte fliessen, werden in diesem Bewertungsverfahren Nutzen und Kosten monetarisiert [5] und gegenübergestellt. Projekte sind nur dann genehmigungs- und förderungswürdig, wenn der gesamtwirtschaftliche Nutzen die gesamtwirtschaftlichen Kosten übersteigt. So wurde z.B. für das Flughafenprojekt Laage-Kronskamp bei Rostock festgestellt, dass der Nutzen die Kosten um den Faktor 1,4 übersteigt. Das Verfahren der gesamtwirtschaftlichen Bewertung von Verkehrsprojekten, das in dem 1992 vom Parlament verabschiedeten Bundesverkehrswegeplan genau erläutert ist und für Verkehrsprojekte des Bundes zwingend vorgeschrieben ist, gehört zum Standard-Instrumentarium der Verkehrsplanung und kann von jedem Planungsbüro durchgeführt werden. Zu fragen ist hier, wieso das Verfahren der gesamtwirtschaftlichen Bewertung für die geplante Erweiterung von FRA nicht angewendet worden ist, wo doch jede kleine S-Bahn-Linie diesem Verfahren unterworfen wird? Ob der Bund aufgrund seiner Negativkompetenz nach §6 Luftverkehrsgesetz den Ausbau von FRA verhindern kann oder sogar muss, um eine Verschwendung öffentlicher Gelder zu unterbinden, wenn die gesamtwirtschaftliche Bewertung der Erweiterung von FRA die mangelnde Rentabilität des Projektes nachwiese, kann ich hier nicht beurteilen. Auch kann hier keine gesamtwirtschaftliche Bewertung des Projekts vorgenommen werden. Es ist aber interessant, einmal einige Kosten- und Nutzenkategorien des Bewertungsansatzes für den Fall der Erweiterung von FRA durchzugehen und deren Tendenz qualitativ zu bewerten.

Kategorie

Ausprägung

Kosten: Investitionskosten

Die Kosten können prohibitiv hoch werden bei einer notwendigen Entschädigung einer Vielzahl von Anwohnern für Lärmschäden

Nutzen: Verminderung von Lärm

negativ

Nutzen: Verminderung von Abgasbelastungen

negativ

Nutzen: Verbesserung der Erreichbarkeit

null

Nutzen: Beschäftigungseffekte

wird gering gewichtet, da im Rhein-Main-Gebiet nahezu Vollbeschäftigung vorliegt.

Tabelle: Nutzen-Kosten-Kategorien bei einer Erweiterung von FRA

Interessant an dieser Betrachtung sind die möglicherweise hohen Investitionskosten, die aus den hohen Entschädigungsleistungen für Anwohner resultieren. Hier könnte der geplante Börsengang der FAG belastet werden. Auch ist interessant, dass mit einem Ausbau von FRA die Erreichbarkeit der Region Rhein-Main nicht verbessert werden kann, da sie bereits heute gut oder sehr gut ist. Ferner ist hervorzuheben, dass im Bundesverkehrswegeplan die Beschäftigungseffekte dort gering gewichtet werden, wo die Arbeitslosigkeit, wie im Rhein-Main-Gebiet, gering ist. Diese Gewichtung widerspricht vollkommen dem hohen Gewicht, dass dem Beschäftigungseffekt, der aus dem Flughafenausbau resultiert, von der Landesregierung beigemessen wird. Eine Zusammenfassung der qualitativen Ausprägungen der Nutzen-Kosten-Kategorien läßt erkennen, dass eine Erweiterung von FRA durchaus unrentabel werden könnte.

Folgende Anmerkungen zu den Beschäftigungseffekten und zur Methodik im Mediationsbericht seien gemacht [6]:

1. Leider wurden im Mediationsbericht andere Szenarien als die oben erwähnten A) bis E) zugrunde gelegt (S. 32), sodaß die auf den Szenarien A) bis E) basierenden Gutachten dazu nicht mehr kompatibel sind. Damit werden die im Mediationsbericht erscheinenden Schlußfolgerung fragwürdig, da sie zu den Gutachten keinen nachvollziehbaren Bezug mehr aufweisen.

2. Die Beschäftigungswirkungen der Gutachten W2-G und W4-G werden für eine Projektion im Jahre 2015 addiert, einmal von W2-G die Beschäftigungswirkungen der Leistungserstellung des Flughafens (direkt und indirekt) und zweitens von W4-G die Beschäftigungswirkungen der Standorteffekte (direkt und indirekt) und dann große Unterschiede bis zu 301 Tsd Arbeitsplätze errechnet, die im Jahre 2015 gegenüber dem optimistischen Szenario A) nicht verfügbar seien (Bericht S. 86). Diese Präsentation großer Zahlen hat bereits ihre politische Wirkung entfaltet. So spricht das Flughafen-Konzept der Bundesregierung vom 30. August 2000 von einem Unterschied von fast 100 Tsd. Arbeitsplätzen, der zwischen dem Ausbau von FRA ("Weiterentwicklung") und dem Status quo liege (S. 15).

Jedoch wurden die Arbeitsplatzwirkungen von Szenario A zu hoch angesetzt. Da beide Gutachten W2-G und W4-G auf Datenbasen von Unternehmen beruhen, die sich überschneiden, und beide über Multiplikator- und Input-Output-Effekte die gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungseffekte berechnen, liegt hier eine Doppelzählung vor. So folgendes Beispiel: Wenn ein frankfurter Unternehmen A aufgrund der Erweiterung von FRA eine Leistung von einem Unternehmen B auf dem Flughafengelände kauft, z.B. einen Flug, ist die Leistung in W4-G ein indirekter Effekt, aber in W2-G ein direkter Effekt. Erfaßt werden die Effekte in beiden Gutachten und werden im Mediationsbericht zusammen mit den Multiplikatoreffekten addiert. Die gleiche Doppelzählung liegt vor, wenn B bei A eine Leistung kauft [7].

3. Problematisch an den Projektionen der Arbeitsplatzentwicklung bis zum Jahre 2015, die auf dem Gutachten W2-G beruhen, ist deren Fortschreibung durch die Beratungsgesellschaft der Hessischen Landesregierung, der HLT. Durch einen "Beschluß" der Mediationsgruppe am 26.11.1999 wurden die Datenreihen von Gutachten W2-G, die nur bis zum Jahre 2010 reichen, bis zum Jahre 2015 verlängert (Ergebnispapier W2-E). Dieses Vorgehen vermindert die Glaubwürdigkeit der Daten.

4. Die Prognose hoher Arbeitsplatzeinbußen der direkt auf dem Flughafengelände beschäftigten Personen und der indirekt beschäftigten Personen bei Nichtausbau nach Szenario B) im Gutachten W2-G sind Folge der Modellannahmen. Für den Zeitraum 1999 bis 2010, also für einen langen Prognosezeitraum von 11 Jahren, wird die Leistungserstellung der befragten Unternehmen auf dem Flughafengelände unter die konstante Rahmenbedingung von 416 Tsd. Flugbewegungen gestellt. Dabei wird von den Gutachtern aufgrund der Unternehmensbefragung nur eine moderate Abnahme der direkt Beschäftigten von 61 Tsd. auf 56 Tsd. festgestellt, also eine Abnahme um insgesamt 8,2% in 11 Jahren. Der große Beschäftigungseinbruch entsteht bei den indirekt Beschäftigten. Hier beträgt der Rückgang 23 Tsd. von 106 Tsd. auf 83 Tsd., also um 21% in 11 Jahren (Gutachten W2-G, S. XX). Dieser große Rückgang ist Folge der jährlichen Produktivitätsfortschritte in den einzelnen Sektoren zwischen 2% p.a. und 4% p.a., die in korrekter Weise von dem Gutachten W2-G angenommen werden, die jedoch vom Einkommenseffekt z.T. kompensiert werden.

Die in Szenario B) angenommen konstante Rahmenbedingung von 416 Tsd. Flugbewegungen pro Jahr ist nur eine der sich laufend verschärfenden Rahmenbedingungen, unter denen Unternehmen arbeiten müssen. Andere Rahmenbedingungen werden vom Umweltschutz, dem Arbeitsschutz, dem Gesundheitsschutz und dem Verbraucherschutz gesetzt und laufend verschärft. Da die Unternehmen kein Interesse an einer Verschärfung der Rahmenbedingungen haben, werden sie zumindestens in Befragungen, wie der von Gutachten W2-G, mit einer Einschränkungen der Beschäftigung antworten.

Diese Reaktion der Unternehmen gilt nicht nur für solche auf dem Flughafengelände von FRA sondern gilt schlechthin. Denn die Verschärfung der Rahmenbedingungen ist jedem Manager bekannt, und die unternehmerische Aufgabe des Managements besteht ja gerade darin, unter erschwerten Bedingungen neue Geschäftsfelder zu erschließen, um dieser Falle zu entgehen. In der Betriebswirtschaftslehre wird dieses Aufgabenfeld systematisch im Fachgebiet Strategische Unternehmensführung erforscht. Im Mediationsprozeß ist demnach die Lücke auszumachen, dass kein Experte auf dem Gebiet der Strategische Unternehmensführung die Entwicklungschancen von FRA unter den Einschränkungen von 416 Tsd. Flugbewegungen erläutern konnte.

5. Tatsächlich verhalten sich die Unternehmen auf dem Gelände von FRA nach den Vorgaben der Strategischen Unternehmensführung und entwickeln fortlaufend neue Geschäftsfelder, die nicht von den Flugbewegungen abhängen. Dieses wurde im Gutachten W2-G aber gar nicht beachtet. Vielmehr wird bei der Befragung der Unternehmen auf dem Gelände von FRA mit der Präsentation der Szenarien A) bis D) unterstellt, das Geschäft dieser Unternehmen hinge direkt von der Zahl der Flugbewegungen ab. Wenn man jedoch beispielsweise nur die Geschäftsfelder der FAG und der LH analysiert, stellt man fest, dass ein Teil der auf dem Gelände von FRA beschäftigten 61Tsd. Personen in Geschäftsfeldern arbeitet, die nicht von der Zahl der Flugbewegungen abhängen, wie z.B. Planung, Bau und Management von Flughäfen wie z.B. die Vermietung von Büroräumen an Firmen, die einen Standort nahe der Autobahn wünschen, wie die Verwaltung von Tochtergesellschaften und Beteiligungen der FAG, und wie z. B. das Catering der LH-Tochter LSG Lufthansa Service Deutschland GmbH, die Autobahnraststätten betreibt, einen Party-Service eingerichtet hat und auch für Flugzeuge, die nicht in FRA starten, und auch für andere Airlines als der LH Bordmenüs zusammenstellt.

6. Die Argumentation mit induzierten und indirekten Beschäftigungseffekten von Szenario A), die sich über Multiplikator- und Input-Output-Effekte gesamtwirtschaftlich ergeben, kann keine Präferenz für Szenario A) begründen, da bei einer bundesweit gegebenen Nachfrage nach Flugleistungen die Beschäftigungseffekte auch dann eintreten, wenn die Flugbewegungen an einen anderen Ort als Frankfurt verlagert werden. Geht man von den direkten Beschäftigungseffekten aus, so ist eine Verlagerung in Gebiete mit hoher Arbeitslosigkeit, also nach Hahn oder Nordhessen, auch nach Maßgabe des Bundesverkehrswegeplans gesamtwirtschaftlich sogar wesentlich sinnvoller.

7. Die Präsentation der Szenarien im Mediationsbericht ist suggestiv, da die Szenarien B) bis D) nur als negative Abweichungen von der maximalen Ausbauvariante Szenario A) präsentiert werden. Glaubwürdiger wäre der Status quo (Szenario B) als Referenz.

Ich gehe im folgenden auf die Szenarien ein.

Wenn die Flugbewegungen in FRA mit 416 Tsd. im Jahr nach Szenario B limitiert würden, dann müßte der Zuwachs im Flugverkehr auf andere Standorte gelenkt werden. Dies bedeutet aber nicht, dass der wachsende Flugverkehr von den Airlines soweit verlagert wird, dass es zu einem absoluten Rückgang an Flugbewegungen in FRA kommen wird. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass die Flughafenkapazitäten europaweit infolge des Wachstums knapp bleiben werden. Insofern ist die Annahme des Verlusts der Hubfunktion von Szenario C äußerst unrealistisch. Doch nehmen wir einmal Szenario C an. Wie ist die Annahme zu bewerten, daß der Hub in FRA wegfiele? Dann müßte die LH ihre Aktivitäten am Standort FRA reduzieren. Aber wo sollte sie hingehen? Die großen europäischen Hubs arbeiten am Rande ihrer Kapazität. Auch ist die LH durch die Investitionen in Einrichtungen ihrer Basis an FRA gebunden. Ferner ist zu bedenken, dass Rhein-Main als starker Wirtschaftsstandort sofort andere Airlines anzieht, wenn die LH in FRA ihre Slots zum Teil freigäbe. Die LH würde damit von Mitbewerbern ersetzt, wie auch das Mediationsgutachten einräumen muß (S. 23). Diese Situation ist heute anders als vor 20 Jahren, als die Startbahn West in FRA gebaut wurde. Damals hatte die Lufthansa in Deutschland eine Monopolstellung und konnte mit dem Weggang aus FRA drohen, ohne dass ausländische Mitbewerber hätten nachrücken können. Die Monopolstellung ist jedoch seit der Liberalisierung des Luftverkehrs im Jahre 1997 nicht mehr gegeben.

Am Beispiel der Londoner Flughäfen Heathrow, Gatwick und Stansted können wir die obige These erhärten, dass Szenario B mit einer Limitierung auf 416 Tsd. Flugbewegungen nicht einen Rückgang an Verkehr nach sich zieht, oder gar einen Verlust der Hub-Funktion. Heathrow ist ähnlich wie FRA an der Grenze der Kapazität. Der Zuwachs an Flugbewegungen betrug dort in den Jahren von 1993 bis 1999 nur noch 47 Tsd., während Gatwick mit Stansted, die vom Marketing von FRA als Mitbewerber von FRA eingeordnet werden, zusammen in diesem Zeitraum einen Zuwachs von 163 Tsd. verzeichnete. Die folgende Tabelle zeigt die absoluten Zahlen für Heathrow, Gatwick und Stansted.

 

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

Heathrow

411

412

435

440

441

451

458

Gatwick

185

192

203

222

239

251

256

Stansted

63

75

84

96

105

127

144

Tabelle: Flugbewegungen in 1000 von 1993 bis 1999 [8]

Wir erkennen an dieser Tabelle, dass trotz des kräftigen Wachstums an den benachbarten Standorten Gatwick und Stansted, das noch stärker ausfällt, wenn man den Standort Luton für den Charterflug hinzunimmt, der Flughafen Heathrow keine Einbußen hinnehmen mußte. Er hat seine Hub-Funktion für BA aufrecht erhalten können.

Zu bedauern ist, dass das Mediations-Gutachten "Bedeutung des Flughafens Frankfurt/Main als Standortfaktor für die regionale Wirtschaft" vom Institut für Verkehrswissenschaft an der Universität zu Köln 1999 (W4-G) nach Maßgabe ihrer Auftraggeber nicht die Status-Quo-Analyse vorgenommen hat, FRA auf 416 Tsd. Flugbewegungen zu limitieren (Szenario B). Vielmehr wurden den befragten Unternehmen nur die drei alternativen Szenarien A, C und D zur Beurteilung vorgelegt. Wenn die Alternativen derartig zugespitzt werden, erscheint Szenario A nahezu als zwingend.

Das Szenario D) geht von einer Einschränkung des Frachtverkehrs in FRA aus. Fraglich ist, ob dieses Szenario einen sinnvollen Beitrag liefert oder ob damit politisch Angst erzeugt werden soll. Nach einer Analyse eines repräsentativen Tages im Jahre 1998 vom Airport Research Center liegen an diesem Tag 1023 Flugbewegungen vor. Davon sind 43 Frachtflüge und 25 Postflüge (Szenarien zur Entlastung des Flughafens Frankfurt, V3-G, S. 22). Außerhalb der Belastungsspitzen in FRA am Tagesrand zwischen 7 bis 9 Uhr und 16 bis 19 Uhr sind Kapazitätstäler für eine Verdoppelung der Fracht in ausreichender Weise frei (Szenarien zur Entlastung des Flughafens Frankfurt, V3-G, S. 23). Damit erscheint die Verfolgerung von Szenario D) eigentlich unsinnig. Dennoch wird im Mediationsbericht im Szenario "Kapazitätsoptimierung ohne Ausbau" angenommen (S. 33), dass die Frachtfunktion von FRA stagniert. Hier wird ein willkürlicher Umgang mit den Ergebnissen der Gutachten sichtbar.

Vermutlich steckt in Szenario D) implizit die Frage nach dem Nachtflugverbot. In der Diskussion um das Nachtflugverbot in FRA wird in den Verlautbarungen der LH dargetan, dass Nachflüge von Luftfracht für den Wirtschafts- und Finanzstandort Hessen lebenswichtig und für kleine und mittlere Unternehmen sogar existentiell bedeutsam seien (Pressemitteilung vom 12.5.2000). Diese Aussagen sollen hier zurückgewiesen werden. Bereits der Begriff Luftfracht suggeriert, dass die Fracht besonders eilig wäre und dass sie auch tatsächlich in der Luft transportiert wird. Beides trifft aber ohne weiteres so nicht zu. Wegen der räumlichen Nähe der Ballungsräume in Europa wird die Luftfracht auf innereuropäischen Relationen zum Teil mit dem LKW als sogenannter LKW-Ersatzverkehr auf dem Strassensystem abgewickelt, wenn das Verhältnis Volumen zu Gewicht ungünstig ist, und ist daher von einem Nachtflugverbot gar nicht betroffen. Relevant für den Transport von Fracht in der Luft sind vor allem Interkontverbindungen. Die LH gibt an, dass 43% ihrer Luftfrachttonnage auf der Relation Asien liegt und 27% auf der Relation Nordamerika (Geschäftsbericht der LH 1999, S. 38). Hier liegen aber die Laufzeiten von Haus zu Haus wegen einer Vielzahl von zu überwindenden Schnittstellen bei durchschnittlich 6 Tagen, entsprechend 144 Stunden. Bei diesen langen Laufzeiten bedeutet aber ein Nachtflugverbot zwischen 22h und 5h mit einer Dauer von 7 Stunden nur eine Verzögerung von 5%, die durch eine organisatorische Optimierung der Transportkette ohne weiteres aufgefangen werden kann. Selbst bei einem Routing der Luftfracht aus dem Rhein-Main-Gebiet über andere Flughäfen, wie Stuttgart oder Köln/Bonn, ergäben sich keine Verlängerungen der Laufzeiten von Haus zu Haus. Wenn man von den kombinierten See-Luft-Transporten auf der Route Hongkong nach Frankfurt via Dubai ausgeht, wobei die Fracht von Hongkong bis Dubai auf dem Schiff transportiert wird, erhält man sogar Laufzeiten von Haus zu Haus von 2 Wochen. Also ist hier erst Recht keine Relevanz des Nachtflugverbots für die Laufzeiten erkennbar.

Wirklich eilige Sendungen werden in Europa mit einer Laufzeit von Haus zu Haus "über Nacht" und in der Welt mit einer Laufzeit von einigen Tagen in der Luft von den vier auch als Integratoren bezeichneten Paket- und Expressdiensten Fed Ex, TNT, DHL und UPS, verschickt, die über eigene Frachtflugzeuge und eigene weltweite Flugnetze verfügen. Hier spielt der Nachtflug eine zentrale Rolle. Der Frankfurter Flughafen wird aber von den Paket- und Expressdiensten TNT, DHL oder UPS gar nicht als Hub benutzt, die vielmehr ihre Hubs für Frachtflugzeuge in Köln/Bonn (UPS), Brüssel (DHL) und Lüttich (TNT) betreiben. Von UPS und TNT wird FRA gar nicht angeflogen. DHL bedient FRA mit 2 Flügen täglich, wovon eine Flugbewegung mit einem Abflug um 22.20h in die Zeitzone 22h bis 5h fällt. Lediglich Federal Express betreibt einen Hub in FRA und wäre von einem Nachtflugverbot mit einigen Maschinen, aber nicht mit allen, betroffen. Hier müßten Möglichkeiten der Verschiebung von Flugbewegungen geklärt werden.

In der folgenden Tabelle habe ich die Laufzeiten von Haus zu Haus für Pakete von Frankfurt beispielhaft zu den beiden Interkontzielen New York und Hongkong für die vier Integratoren zusammengestellt:

Integrator

Laufzeit nach

New York

Laufzeit nach Hongkong

Fed Ex

über Nacht, bis 12h mittags

3 Tage

UPS

1 Tag

3 Tage

TNT

1-3 Tage

2-4 Tage

DHL

1-2 Tage

3-4 Tage

Tabelle: Laufzeiten von Frankfurt aus von Haus zu Haus (Quelle: Eigene Erhebung)

Die Tabelle weist auf, dass die Laufzeiten für Pakete der unterschiedlichen Anbieter vergleichbar sind, unabhängig davon, ob der FRA als Frachtflughafen genutzt wird oder nicht. Allerdings besitzt Fed Ex einen Laufzeitvorteil nach New York von 4 bis 6 Stunden.

Der Nachtpoststern wurde in FRA 1961 eingerichtet, weil FRA in der Mitte der alten Bundesrepublik lag und so von allen wichtigen Zentren gleich weit entfernt lag. Heute wird der Nachtpoststern in der Nacht von 13 mit Post beladenen Maschinen aus Deutschland angeflogen, die nach dem Umsortieren der Post 2 Stunden später wieder zu ihren Ausgangsorten zurückkehren. Diese 26 Flugbewegungen in der Nacht können jedoch ebensogut in Hahn abgewickelt werden, wobei das Rhein-Main-Gebiet mit dem LKW an den Knoten Hahn angeschlossen werden könnte. Verzögerungen für den Versand eiliger Briefe aus dem Rhein-Main-Gebiet sind nicht erkennbar. In Hahn müßten die Flächen für die parallele Abfertigung der 13 Postflugzeuge geschaffen werden.

Ein Argument für den Nachtflug sind die komplizierten weltweiten Umlaufpläne von Flugzeugen, die den Start in der Nacht erfordern, um termingerecht an einem Ort der Welt zu sein. Mit organisatorischen Mitteln kann aber der Start in FRA in der Nacht umgangen werden, wenn die Flugzeuge vor 22h etwa nach Hahn verlegt würden.

 

An dieser Stelle ist auf die Aussagen des Mediations-Gutachtens "Bedeutung des Flughafens Frankfurt/Main als Standortfaktor für die regionale Wirtschaft" (W4-G) zur Luftfracht einzugehen. Der Befragung von Unternehmen lag u.a. das Szenario D zugrunde mit der Annahme, daß Frachtflüge eingeschränkt werden und der Folge, daß "sehr zeitkritische Güter (Güter, die über Nacht bzw. binnen 24 Stunden am Ziel sein müssen) nicht mehr an/ab Flughafen Frankfurt geflogen werden können" (Kurzfassung S.2). Die Befragung von Unternehmen enthält einige schwerwiegende methodische Mängel. Erstens zeigt diese Formulierung des Szenarios, dass die Gutachter die oben aufgewiesenen Besonderheiten der Luftfracht, wie

nicht in das Szenario aufgenommen haben, sondern einen naiven Luftfrachtbegriff verwenden. Zweitens ist die Formulierung "am Ziel sein müssen" sehr unpräzise, da nicht gesagt ist, ob der Zielflughafen oder der Empfänger gemeint ist. Drittens wurde den befragten Unternehmen nicht das von Flughafen FRA weitgehend unabhängige Leistungsangebot der Paketdienste vorgelegt. Viertens ist die Formulierung des Szenarios derartig suggestiv, dass jedes befragte Unternehmen, das mit eiliger Fracht zu tun hat, natürlich Einbußen seiner wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten annehmen muss. Damit sind die Befragungsergebnisse für Szenario D nahezu wertlos sowie die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen, die große wirtschaftliche Verluste bei einer Einschränkung von Luftfracht, also auch bei einen Nachtflugverbot, prognostizieren. Ein weiterer methodischer Mangel im genannten Gutachten besteht darin, dass Alternativen zu Szenario D den befragten Unternehmen gar nicht präsentiert wurden und völlig undiskutiert blieben, wie die Möglichkeit, die Luftfracht teilweise nach Hahn zu verlagern, wobei Hahn lediglich zwei LKW-Stunden von FRA entfernt liegt und damit dort für das Rhein-Main-Gebiet Luftfracht ohne Einbußen an Laufzeiten abgewickelt werden könnte.


[1] Mit der fehlenden Bundeskompetenz setzt sich Rolf Hermes: Malpensa-Frankfurt-Berlin - Die Verantwortung für die Infrastruktur des Luftverkehrs, in: Internationales Verkehrswesen, Heft 1+2/2000, S. 22-24, auseinander.

[2] Quelle: Aeroports Magazine Hors serie, Mai 2000, S. 21, Flugplan von Air France

[3] Der Bundesminister für Verkehr (Hersg): Gesamtwirtschaftliche Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen - Bewertungsverfahren für den Bundesverkehrswegeplan 1992, Heft 72, 1993

[4] Vergl. Stellungnahme zur wissenschaftlichen Methodik der im Rahmen des Mediationsverfahrens erstatteten Gutachten zu den Beschäftigungswirkungen eines Ausbaus des Flughafens Frankfurt, von M. von Hauff und J. Horbach, Stuttgart 2000

[5] Eine Kritik an dieser Monetarisierung ist in der wissenschaftlichen Literatur bereits vor 30 Jahren erfolgt und soll hier unterbleiben. Als alternatives Konzept ist damals die Kosten-Wirksamkeits-Analyse entwickelt worden, die qualitative Aspekte nicht monetarisiert.

[6] Vergl. auch Anmerkung 5.

[7] Die Zusammenführung der Gutachten W2 und W4 erfolgte völlig unkritisch im Ergebnispapier W2-W4-E der HLT vom 26.11.99. Hier ist auch eine merkwürdige Verschiebung der zugrundeliegenden Szenarien zu beobachten: Während im Ergebnispapier von den Szenarien A) bis D) die Rede ist, sind die Zahlen zwar im Mediationsbericht übernommen, aber anderen Szenarien zugeordnet (S. 86). Die Qualitätssicherung der Wirtschaftsgutachten von der Beder Consult (W4-QS) legt auf S. 14 für die Szenarien ohne jegliche Begründung völlig andere Zahlen für die Beschäftigungseffekte vor.

[8] AACI Worldwide Airport Traffic Reports 1993 bis 1999, Aeroports Magazine Hors serie, Mai 2000, S. 21


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